Tarifflucht ist Schreckgespenst der Politik und Gewerkschaften. Wie kommt es dazu, dass immer mehr Betriebe aus flächendeckenden Tarifen fliehen? Zum Leidwesen der Gewerkschaften haben immer mehr Beschäftigte auch gar nichts mehr dagegen. Nur noch wenige glauben an Lohngerechtigkeit durch einheitlich bindende Klauseln. Doch es entsteht eine Lücke. Individuelle und agile Lösungen werden häufig daher herbeigesehnt. Dabei gibt es sie schon.
Tarifverhandlungen in der Vergangenheit und heute
Tarifverhandlungen kannten in Deutschland über Jahrzehnte nur eine Richtung: mehr Geld für weniger Arbeit. Am besten war es erheblich mehr Geld. Der Deutsche Gewerkschaftsbund meldete 1972 stolz: „Im ersten Monat des Jahres konnten für 2,3 Millionen Arbeitnehmer Tariflohn und -gehaltserhöhungen von durchschnittlich 6,9 Prozent vereinbart werden.
Diese Zeiten sind lange vorbei. Klar ist: gerechte Löhne sind ein hohes Gut der sozialen Marktwirtschaft. Doch was ist gerecht? Was ist angemessen? Und: geht es immer nur um Gehaltssteigerungen? Die Lebensrealität sieht für viele Menschen heute anders aus. Es stellt sich heute nicht mehr die Frage, ob ein Pharmakant den gleichen Lohn bekommt, wie ein Chemikant. Das ist meist in festen Tarifverbünden einheitlich geregelt. Diese Art der Markttransparenz ist tatsächlich ein Verdienst der Gewerkschaften. Sie haben hier gute und wertvolle Arbeit geleistet.
Doch diese ist inzwischen getan. Innerhalb von Betrieben stellt sich dahingegen immer drängender die Frage, ob der Leiter des Teams A gerecht entlohnt wird, im Vergleich zu seinem Pendant im Team B. Das verlangt nach einer individuell gerecht empfundenen Unterscheidung und nicht einfach nach gleichem Geld für alle. Gerechtigkeit ist eben nicht, alles über einen Kamm zu scheren. Wer alle pauschal gleich behandelt, ist zu allen ungerecht.
Daher können auch immer weniger Menschen mit festen tariflichen Bindungen etwas anfangen. Ihre Chefs sehen es ähnlich. Oder wie es einst der damalige Präsident des Bundesverbandes der Industrie (BDI), Michael Rogowski, formulierte: „Ich wünsche mir manchmal ein großes Lagerfeuer, um das Betriebsverfassungsgesetz und die Tarifverträge hineinzuwerfen.“ Es ist dabei ein fataler Trugschluss der Gewerkschaften, solche Äußerungen als Beweis der Ausbeutung der Arbeiterschaft durch die Industriebosse zu sehen. Die arbeitende Bevölkerung sieht die Tarifbindung nämlich inzwischen ähnlich kritisch.
Vorbei sind die Zeiten, in denen jemand eine Ausbildung zum Industriemechaniker absolvierte und dann sein gesamtes Berufsleben in dieser Position arbeitete – ohne weitere Qualifikation, Spezialisierung und Fortbildung. Am besten noch im selben Betrieb. Quervergleiche und einheitliche Lohnverhältnisse waren damals tatsächlich Kernkompetenz von Gewerkschaften.
Lebensläufe und berufliche Erfahrungen sind jedoch heute individueller und spezieller geworden. Keiner möchte unter diesen Bedingungen mit einer anderen Position verglichen werden, die weit jenseits der eigenen Werkstore liegt und nichts mit den eigenen persönlichen Fähigkeiten zu tun hat. Starre Muster der Entlohnung sollen Einheitlichkeit herstellen, wo eigentlich Agilität vonnöten wäre. Ist Tarifbindung daher ein Auslaufmodell?
Bisheriges System zeigt sich unflexibel
Die Tendenz ist klar. Die Lust, sich unter den Schirm von Tarifverträgen zu stellen, haben immer weniger Unternehmen und auch – und das ist das bemerkenswerte – auch die Beschäftigten selbst.
Das Institut der Deutschen Wirtschaft stellt fest, dass das Streben der Gewerkschaften nach immer einheitlicheren Manteltarifverträgen nicht fruchtet. Ein Beispiel ist das Tarifautonomiestärkungsgesetz. Hiermit wurde unter anderem der allgemein verbindliche Mindestlohn erstmals in Deutschland festgelegt. Das IW stellt fest: „Es zeigt sich, dass die 2014er-Reform bisher nicht zu mehr Allgemeinverbindlicherklärungen (AVE) oder der Einbindung vieler neuer Branchen geführt hat.“ Das Phänomen der Tarifflucht verstärkt sich weiter.
Ist das ein Problem für die dortigen Beschäftigten? Scheinbar nicht. Sicher würden sich Arbeitende dort stärker gewerkschaftlich organisieren, sollten sie sich einheitliche Lohn- und Arbeitsbedingungen wünschen. Doch der Anteil der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer*innen liegt nur noch bei rund 20 Prozent. Tendenz abnehmend. Man kann die Zeichen dahin deuten: Das bisherige System ist unflexibel und wird immer weniger nachgefragt.
Differenzierungen und Abweichungen von Flächentarifverträgen sind seit den 80er Jahren ein Gegentrend, der immer stärker zunimmt. Diese Tarifflucht ist ein Synonym für den immer größeren Bedarf, die Lohnsituation der Beschäftigten auch an die jeweilige wirtschaftliche Situation eines einzelnen Unternehmens anzupassen. Und noch viel mehr: Eine Stellen-/ Funktionsbewertung auf Basis der tatsächlichen Anforderungen an die Aufgaben der Stelle – individuell, transparent, nachvollziehbar – das ist es, was Unternehmer und Angestellte beide brauchen. Auf diesem Fundament können die Leistungen Einzelner fair gewürdigt werden. Last, but not least: Ein solches System muss sich sowohl der Ergebnissituation der Unternehmen als auch der sich entwickelnden Leistungen der Angestellten flexibel anpassen.
Flexibilität und Transparenz gefordert – eine einfache Anwendung bietet die Lösung
Eine agile Vergütungsberatung wie respondeo bietet mithilfe ihrer Onlineanwendung easygrading diese Flexibilität und Transparenz. Dreh- und Angelpunkt bei easygrading ist die Entscheidungskompetenz der Mitarbeitenden. Hier ist ein unternehmensweites Bewertungssystem verfügbar. Von den einfachsten Tätigkeiten im Unternehmen bis hin zur Geschäftsführung lässt sich jede Position in einem von insgesamt sechs verschiedenen Entscheidungsbänder einordnen.
Das System bietet dabei auch automatische Quervergleiche zu anderen Unternehmen, sowohl innerhalb der eigenen Branche als auch branchenübergreifend. Jeder Mitarbeitende im Unternehmen weiß dann, welchen Wert seine/ihre Leistung für das Unternehmen hat und wie sie im Vergleich zu anderen Unternehmen zu bemessen ist.
So sind innerbetriebliche und außerbetriebliche Gerechtigkeit möglich. Gleichzeitig ist das System agil und kann regelmäßig den Leistungs- und Marktbedingungen entsprechend angepasst werden. Wer tatsächlich eine solche Gerechtigkeit im Lohngefüge innerhalb eines Betriebs und über alle Hierarchiestufen hinweg schafft, der hat auch keine Angst mehr vor Transparenz.
Am Ende erfüllt ein integratives und transparentes Tool das, was Gewerkschaften schon lange anstreben. Die teilweise unterschiedlichen Ziele von Unternehmern und Beschäftigten werden hier bestmöglich miteinander in Beziehung gebracht. Ganz ohne Streit und Streiks. Innerbetrieblicher Friede und allgemeine Gerechtigkeit sind möglich. Agilität und situatives Handeln sind möglich. Ohne unflexible und langfristig bindende Tarifverträge. Eine Gerechtigkeit, die der Unterschiedlichkeit von Menschen, ihren Leistungen und Bedürfnissen gerecht wird.
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